ARCHITEKTEN DES KLIMASCHUTZES

Von Marcel Grzanna

Die Klimadebatte hat längst auch die Baubranche erreicht. Roberto Gonzalo ist Architekt in München und von Berufs wegen daran interessiert, neue Gebäude zu schaffen. Und dennoch sagt er: „Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass der einzige emissionsfreie Quadratmeter eines Gebäudes jener Quadratmeter ist, der nicht gebaut wird.“ Stichwort Suffizienz: Wie viel Fläche ist wirklich nötig, um unsere Bedürfnisse zu erfüllen? Wieviel Extravaganz sollten wir uns leisten, wenn wir dadurch die Ökobilanz drastisch verschlechtern? „Es gibt immer gute Alternativen“, sagt Gonzalo. Seit wenigen Wochen ist Gonzalo Mitglied der bayerischen Architektenkammer, wo er die Liste Klimawende (klimawende-planen.bayern) vertritt. Die 125 Unterstützer der Initiative sagen, dass „Klimaschutz und Nachhaltigkeit einen grundlegenden Wandel im Planungshandeln erforderlich machen.“ Damit soll die Wahrnehmung der Kompetenz des Berufsstandes in der Öffentlichkeit gefördert werden. Den Initiatoren geht es um einen neuen Denkansatz, einen Kulturwandel, der Planer dazu bewegt, ihre Aufgabe neu zu definieren: als Architekten des Klimaschutzes. Planer sind aufgerufen, vorwiegend ökologische Materialien und Baustoffe mit möglichst geringem Primärenergiegehalt zu verwenden. Sie sollen Konstruktionen hinterlassen, deren Bestandteile wiederverwendbar sind und von ihrer Erzeugung bis zur Entsorgung einen geringen Co2-Fußabdruck produzieren. Herkunft der Materialien, ihr Emissionsvolumen bei der Produktion, Transportwege und ihre Lebensdauer setzen sich zur einer nachhaltigen Gesamtbilanz zusammen. Beispiel: Carbonbeton, der viel weniger Fläche verschlingt als Stahlbeton. Sein schlankes Profil verringert die Zementmenge, die als Bindemittel bei der Herstellung des Betons benötigt wird. Das entlastet die Umwelt, weil die Zement-Produktion zu den emissionsintensivsten Industrieprozessen zählt.

Rund zehn Prozent der Stimmen sicherte sich die Liste Klimawende bei der jüngsten Wahl in der Architektenkammer. Das ist noch nicht die Welt. Doch die Liste steht nicht allein da mit ihrer Position. Seit Juli vergangenen Jahres sammeln sich viele Professionelle unter dem Dach des eingetragenen Vereins Architects for Future (AFF). Der Name ist entstanden in Anlehnung an die Schulschwänzer von Fridays for Future, die den Freitag zum Protesttag für eine konsequentere Klimapolitik in der Welt erkoren haben. Gestartet in Bremen hat AFF inzwischen 34 Ortsvereine in deutschen Städten, zwei weitere in der Schweiz, einen in Österreich. Die Bewegung will vornehmlich der eigenen Zunft die Relevanz und das Potential der Baubranche in Sachen Nachhaltigkeit aufzeigen und veraltete Standards hinterfragen. Beim Investorenverband Zentraler Immobilien-Ausschuss (ZIA), gibt man sich zurückhaltender. „Energieeffizienz und Nachhaltigkeit, unterstützen wir. Aber das Einsparpotential klimaschädlicher Emissionen hat bei Immobilien auch seine Grenzen“, teilt der Ausschuss mit. Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit müssten in Einklang gebracht werden. Der ZIA empfiehlt einen Maßnahmenmix aus Erneuerbaren Energien, effizienter Technik und anspruchsvollen, aber rentablen Gebäudehüllen. „Dies anzuerkennen, würde bereits einem Kulturwandel gleichkommen“, so der ZIA.

Das Ziel der Bewegung ist klar definiert: Es geht um die Einhaltung der Ziele des Pariser Klimaabkommens und die Begrenzung der Erderwärmung auf maximal 1,5°. Jede Maßnahme, jeder Ansatz, jede gemeinsame Anstrengung zählt. Auch weil die Politik nicht die Erwartungen derer erfüllt, die aus eigener Erfahrung wissen: Da geht noch mehr. Seit Beginn des Jahres verschärft zwar das Gebäudeenergiegesetz (GEG) die Anforderungen an Neubauten und Sanierungen. Doch der neue Rechtsrahmen, der das Energieeinsparungsgesetz, die Energieeinsparverordnung und das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz vereint und ersetzt, ist „hinter den Möglichkeiten zurückgeblieben“, wie Michael Joachim vom Architekturbüro NEST Ecoarchitektur aus München sagt. Wolle man als Gesellschaft die gesteckten Klimaziele erreichen, „müssten mutigere und zwingend erforderliche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Diesen Mut können wir im aktuellen GEG leider nicht erkennen.“ Der gesetzliche Neubaustandard durch das GEG legt den Primärenergieverbrauch eines Gebäudes bei 75 Prozent des Referenzwertes des sogenannten Effizienzhaus 100 fest, das laut staatlicher Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) als Blaupause für energieeffizientes Bauen gilt. Dabei sind heute bereits 40 Prozent des Referenzwertes beim Bau machbar. Doch diese zusätzlichen Einsparungen umzusetzen, liegt im Ermessen der Bauherren. Er darf sich gesetzlich mit 75 Prozent des Referenzwertes zufrieden geben, statt noch effizienter zu planen. Beim Verkauf oder bei größeren Sanierungen von Ein- und Zweifamilienhäusern sind Käufer bzw. Eigentürmer laut Gesetz verpflichtet, „eine obligatorische energetische Beratung“ zu akzeptieren. Die Qualität der Beratung und mögliche Interessen der Berater steuert der Gesetzgeber nicht. Flankiert wird das GEG dagegen von den Förderungen durch die KfW. Nach Inkrafttreten des Gesetzes im Januar genehmigte die Anstalt im ersten Quartal die finanzielle Unterstützung für mehr als 35.000 Bau- und Sanierungsprojekte nach dem Effizienzhaus-Standard. Rund 14.000 mehr als im Vorjahreszeitraum. Die zugesagte Fördersumme stieg von 4,5 auf 7,4 Milliarden Euro. Marcel Grzanna lebt als freier Journalist in Köln und ist unter anderem auf Stadtentwicklung und Architektur spezialisiert.


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Zentrum Paul Klee in Bern (© GBI Holding AG/ Ricardo Gomez Angel)