STADT DER GRÜNEN ZENTREN

Von Silke Lambeck

Wer vor ein paar Jahren an den Ufern der Seine spazieren wollte, war von tosendem Verkehr umgeben. Besonders die „Voie Georges Pompidou“ am rechten Seineufer machte eine gefahrlose Nutzung des Ufers unmöglich- die Schnellstraße wurde täglich von zehntausenden Autofahrern für eine schnelle Durchfahrt der Stadtmitte genutzt. Heute ist sie auf drei Kilometern komplett für den Autoverkehr gesperrt – nach einem letzten Gerichtsurteil im Jahr 2019 ist die Nutzungsänderung nun auch gerichtsfest. Seither passiert hier, was sich die - der Parti socialiste angehörende - Bürgermeisterin Anne Hidalgo für ganz Paris wünscht: Die Straße ist Flaniermeile, Spielplatz und Standort für belebte und beliebte Bars. Sollte man allerdings versuchen, den Weg mit dem Auto stattdessen durch die nahe Rue de Rivoli zu nehmen, wird man ebenfalls eine Überraschung erleben: Auch diese zentrale Straße ist seit dem ersten Corona-Lockdown für den individuellen Autoverkehr gesperrt. Von den drei Spuren darf nur noch eine mit Bussen, Taxen oder offiziellen Fahrzeugen wie Krankenwagen oder Feuerwehr befahren werden. Ansonsten dominieren Fahrräder und E-Roller das Bild. Im übrigen Stadtgebiet wird - mit Ausnahme einiger großer Boulevards - ab Ende diesen Jahres Tempo 30 eingeführt. Da die Durchschnittsgeschwindigkeit in den engen Stadtstraßen derzeit bei 15 Stundenkilometern liegt, wird das kaum große Auswirkungen haben. Dramatischer wird von viele Pariser*innen der geplante Umbau des Peripherique wahrgenommen – die Umbau der bis zu fünfspurigen Stadtautobahn zu einem Boulevard soll bis 2024 beginnen. Er beträfe dann vor allem die Pendler*innen. Sie gehören nicht zu den zwei Millionen, die im Stadtgebiet von Paris wohnen- sondern zu den acht Millionen, die in der Region Île-de-France im Großraum Paris in den Vororten leben. Damit diese in Zukunft auch ohne Auto in die Stadt kommen, wird mit dem „Grand Paris Express“ ein gigantisches Schnellbahnsystem mit 68 neuen Bahnhöfen das Stadtzentrum mit der Peripherie verbinden.

Wenn es nach der Stadtverwaltung um Anne Hidalgo geht, verbringen die Pariser*innen zukünftig auch deshalb weniger Zeit im Auto, weil alles, was sie benötigen, in unmittelbarer Umgebung vorhanden ist: Ärzte, Läden, Schulen und möglichst auch der Arbeitsplatz. Als „Stadt der 15 Minuten“ nahm Hidalgo die Idee in ihr Wahlprogramm auf – in einer Viertelstunde sollen Bewohner*innen der Stadt alles erreichen können, was sie im Alltag benötigen. Und zwar, wenn irgend möglich, zu Fuß oder per Fahrrad. 700 Kilometer neue Radwege wurden seit dem Amtsantritt Hidalgos 2014 in der Stadt geschaffen, viele weiter sind geplant. Zudem soll Paris in jeder Hinsicht grüner werden. Zehn Hektar Beton hat die Stadtverwaltung entsiegeln und durch Muttererde ersetzen lassen, 20.000 Bäume wurden gepflanzt, 15.000 Hektar Dächer und Mauern mit Unterstützung durch die Verwaltung begrünt. In Planung sind vier städtische Wälder an zentralen Orten der Stadt – und für jedes in Paris geborene Kind soll ein Baum gepflanzt werden. Allein am Place de la Concorde, einem der wichtigsten Plätze der Stadt, sollen 360 Bäume gepflanzt werden, die Champs-Elysées werden mit zusätzlichen Grünflächen und Parks den Fußgängern zurückgegeben. Erstes Etappenziel für die Umwandlung sind die Olympischen Spiele im Jahr 2024. Der Umbau von Paris geht in den Quartieren weiter. Nachdem das Wohnen in der Stadt in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend unerschwinglich geworden ist und viele Wohnungen nur noch über Airbnb vermietet wurden, werden auch hier neue Ideen gesucht. Zwar hat sich der Wohnungsmarkt durch das Corona-bedingte Ausbleiben der Touristen etwas entspannt, weil ehemalige Ferienwohnung wieder als normale Mietwohnungen angeboten werden. Was aber fehlt, sind nach wie vor Sozialwohnungen. Neben Bürogebäuden werden nun andere gewerblich genutzte Gebäude für das geförderte Wohnen genutzt. So entstehen etwa im ehemaligen Kaufhaus Tati neben neuen Läden nun Sozialwohnungen- es werden aber auch ehemalige Autohäuser oder Verwaltungsgebäude genutzt. Insgesamt wurden so in Hidalgos erster Amtszeit 350.000 Quadratmeter Geschäftsfläche zum Wohnraum umgewidmet. Politisch geschadet haben Anne Hidalgo die teils heftig diskutierten Projekte nicht - ihre Wiederwahl hat sie im vergangenen Jahr deutlich gewonnen. Und wer weiß, vielleicht ist sie noch für eine Überraschung gut: Man spricht sogar schon von einer möglichen Präsidentschaftskandidatur. Silke Lambeck ist freie Autorin in Berlin.


Bilder: Saint-Germain-l'Auxerrois in Paris (© GBI Holding AG/ Joe deSousa) Park in the 3rd Arrondissement in Paris (© GBI Holding AG/ Matthieu Oger)