SCHLANKER IN DIE ZUKUNFT
Von Marcel Grzanna
Zeitenwende auf 220 Quadratmetern: Auf dem Campus der Technischen Universität in Dresden hat Ende September das weltweit erste Gebäude aus Carbonbeton seine Pforten geöffnet. Nicht nur, dass den Studierenden im sogenannten CUBE fortan neue Labore und Vortragsräume zur Verfügung stehen. Das Projekt könnte ein Meilenstein auf dem Weg zu einem drastisch geringeren Zementbedarf der Bauindustrie werden. Carbonbeton soll entscheidend dabei helfen, den Energiebedarf einer emissionsintensiven Branche erheblich zu verringern.
Der Clou: Seine Carbonbewehrung korrodiert nicht. Deshalb können daraus gefertigte Konstruktionen wesentlich dünner ausgeführt werden und damit bis zu 60 Prozent Zement eingespart werden. Die Folge: Sinkender Energiebedarf, weil der Brennvorgang bei der Herstellung von Zement so viel Energie benötigt wie wenige andere Industrieprozesse.
„Wer mit innovativen Baustoffen dünner baut, spart Material und damit Energie, bevor man in den Gebäudebetrieb geht. Die Entwicklung von Baustoffen der Zukunft wird sich an dieser Logik ausrichten“, sagt Alexander Kahnt von der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig (HTWK). Entsprechend weniger graue Energie fließt in die Ökobilanz eines Gebäudes. Als grau wird Energie immer dann bezeichnet, wenn sie nicht unmittelbarer Bestandteil der Nutzungsphase ist, sondern für Produktion und Transport von Baustoffen aufgewendet wird.
Kahnt tüftelt seit Jahren an der Entwicklung von neuen schlanken Baukonstruktionen für Gebäudehüllen, um der Industrie den seriellen Modulbau solcher Hüllen schmackhaft zu machen. Denn serieller Modulbau bietet einen weiteren Schlüssel zum Energiesparen. Einerseits vereinfacht er die automatisierte Fertigung von Bauteilen in Fabriken. Andererseits verringert sich der Aufwand für die Logistik, weil schlankere Bauteile weniger Platz einnehmen und geringeres Gewicht aufweisen. Schließlich würde auch die Bauzeit der Gebäude abnehmen, weil auf den Baustellen weniger gemauert und gedämmt werden müsste.
Um ein breites Interesse an seriellen Modulen entfachen zu können, müssen mögliche Vorbehalte bei den Bauherren überwunden werden. Denn serielle Fertigung zieht automatisch einen Verlust von Individualität nach sich. Doch mit einem breiten industriellen Angebot von seriellen Modulen und dessen kreativer Nutzung könnte die gewünschte Vielfalt erzielt werden.
Wie wichtig die Reduktion auch der grauen Energie in der Baubranche ist, zeigt der Ansatz des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). In Rahmen des Projekts KEA Bauwerk suchen die Forschenden Ansätze, um die Emissionen vor der Inbetriebnahme der Gebäude weiter zu verringern. „Die Frage ist, ob, wann und wie der Aufwand an nicht erneuerbarer Primärenergie sowie die Treibhausgasemissionen im Lebenszyklus von Gebäuden begrenzt werden können – und wie daraus schließlich verbindliche Anforderungen in Förderprogrammen und Gesetzen entstehen können“, sagte Projektleiter Prof. Thomas Lützkendorf dem Branchenportal energiewendebauen.de.
Knackpunkt sind auch die Unternehmen. Dort müssen neue Technologie beschafft und Personal weitergebildet werden. „In einer Branche, die jahrzehntelang wenig Veränderungen erlebt hat, sind das Herausforderungen, die hemmend wirken können. Aber tatsächlich können Unternehmen durch innovative, dünnere Baukonstruktionen ihrerseits langfristig viel Geld sparen können“, sagt HTWK-Experte Kahnt. Denn auch deren Kosten würden sinken, wenn sie das Volumen der Beschaffung und des Transports von Rohstoffen minimierten.
Es geht aber noch mehr. Rückbau, Wiederverwendung und Entsorgung von Baumaterialien schaffen immer größeres Potenzial für Energieeinsparungen. Strukturen aus Carbonbeton punkten auch hier. Ihre prognostizierte Nutzungsdauer soll sich auf rund 200 Jahre belaufen, während eine Stahlbetonkonstruktion bereits nach 70 oder 80 Jahren eine massive Sanierung erfordert.
Neue Technologien bei der Fertigung der Gebäudehüllen, aber auch der smarte Einbau anderer Komponenten erhöhen zudem die Recycling-Quote. Die Wiederverwertung senkt den Bedarf neuer Herstellungen und damit den Energieaufwand. Fenster, Wand- und Bodenbeläge oder Kabel können so verbaut werden, dass sie wieder komplett demontierbar sind. Metalle, Beton, Ziegel, Gips oder sogar Lehm lassen sich zu neuen Baustoffen ohne Qualitätsverlust aufbereiten. „Wir sind davon überzeugt, dass die Betrachtung des ganzen Lebenszyklus, also die gesamte Ökobilanz eines Gebäudes immer mehr an Bedeutung gewinnen wird und muss“, sagt der Architekt Michael Joachim von NEST Ecoarchitektur, wo man sich auf die Umsetzung ökologisch und wirtschaftlich nachhaltiger Bauvorhaben spezialisiert hat.
Oder das Beispiel Holz: Aus eigener Erfahrung hält Joachim dessen Einsatz als nachwachsender Rohstoff, der einen entsprechend geringeren Energiebedarf aufweist, für „absolut sinnvoll“. Es gehe darum, den Werkstoff nicht nur als Fassadenbekleidung zu verstehen, „sondern alle Bauelemente wie Außenwände, Decken, Stützen und Dächer, also die komplette Tragkonstruktion, als Holzkonstruktion zu planen“, sagt Joachim.
Entscheidend wird aber nicht nur die Bereitschaft sein, mit bewährten Gewohnheiten zu brechen, sondern auch die Finanzierung. „Unternehmen haben immer auch ihre Wirtschaftlichkeit im Blick. Deswegen wird eine entscheidende Rolle spielen, ob Investitionen in neue, energiesparende Materialien auch staatlich gefördert werden“, glaubt der Diplomingenieur Duško Petrović aus Köln, der Immobilienprojekte für große Wohnungsbaugesellschaften plant. „Energiesparen beschäftigt die Baubranche schon lange, aber ohne Anreize wird sie ihr gesamtes Potenzial bestenfalls sehr langsam ausschöpfen“, so Petrović.
Doch auch die noch klaffende Lücke beim Angebot bremst einen rasanten Siegeszug energiesparender Materialen aus. „Viele einzelne Optionen und Materialien sind zwar auf dem Markt, aber die Unternehmen bieten bislang zu wenig Systemlösungen“, sagt HTWK-Experte Kahnt. Das schrecke viele Planer und Bauherren ab, weil die Komplexität des nachhaltigen Ansatzes schnell dazu führen kann, Fehler zu begehen, die später viel Geld kosten können.
Marcel Grzanna ist freier Journalist und lebt in Köln.
Bilder: Titelbild TU Dresden (© Stefan Gröschel), modulares Bauen( © istockphoto – Adam Bennie )