ZU GAST IN DER STADT

Von Jürgen Tietz

Hotels und Städte verbindet eine lange Geschichte der Wechselwirkungen. Was einst die Poststationen zum Pferdewechsel der Kutschen und Übernachten der Reisenden waren, entwickelte sich im 19. Jahrhundert im Dampf der Lokomotiven weiter. Mit dem Anrollen der Globalisierung und dem Aufblühen des Tourismus, entstanden neben den Bahnhöfen neue Vorstädte. Prächtige Hotels luden dort die vom Reisen ermatteten Passagiere ein, sich in wohligem Ambiente zu erfrischen. Der Luxus solchen Reisens zeigt sich bis heute in den Bahnhofsgebäuden von Kings Cross und St. Pancras in London, wo George Gilbert Scott 1873 mit seinem „Midland Grand Hotel“ in den üppigen Formen der Neogotik schwelgte. Heute gehört es als „St. Pancras Renaissance Hotel“ zur Marriott-Gruppe und hält die Grandezza dieses Glamours lebendig.

Mit dem Niedergang der Bahnreisen verloren auch die Bahnhofsquartiere ihre Bedeutung - und ihren Charme. Hotels als Triebfedern und Spiegel städtebaulicher Entwicklungen aber bewahrten ihre Relevanz. Wer auf Fotos der Berliner City-West aus der Nachkriegszeit schaut, erkennt schnell die markante Schachbrett-Fassade des einstigen Hilton-Hotels neben dem Zoo. Heute ein InterContinental, war die 1957/58 von Pauls Schwebes und Hans Schoszberger errichtete Hochhausscheibe ganz Kind ihrer Zeit. Ein Zeugnis der aufstrebenden Moderne, atmete sie etwas vom lockeren amerikanischen Lebensgefühl, das die USA an die Spree mitbrachten. Ihm antwortete auf Ost-Berliner Seite ab 1970 das von Roland Korn, Heinz Scharlipp und Hans Erich Bogatzky entworfene Hotel Stadt Berlin (heute ParkInn) am Alexanderplatz. Nach wie vor gibt es solche Hotels mit Signalwirkung, wie den skulpturalen Estrel-Turm von Barkow Leibinger in Berlin-Neukölln, dessen Bau gerade begonnen wurde und der das höchste Haus der deutschen Hauptstadt werden soll. Ähnlich markant präsentiert sich der für Hamburger Verhältnisse etwas überdimensioniert erscheinende Entwurf des Elbtowers, den David Chipperfield Architects planen.

Die meisten Hotelneubauten balancieren heute zwischen einer Anpassung an ihr bauliches Umfeld und eigenständiger Akzentsetzung, ohne die Gastlichkeit zu vernachlässigen. Beispielhaft für diese Entwicklung stehen die beiden Hotels, die Winking Froh Architekten auf der Hamburger Spiegelinsel verwirklicht haben. Die transparenten Neubauten mit ihrer horizontalen Gliederung verdichten das Ensemble um die beiden Hochaus-Ikonen der ehemaligen Zentralen von Spiegel und IBM aus den sechziger Jahren zu einem neuen Stadtbaustein. Hier wird deutlich: Die Auseinandersetzung mit der vorhandenen Stadt, das vorausschauende Weiterbauen der Nachkriegsarchitektur sind zentrale Themen der Gegenwart. Den Dialog mit dem historischen Stadtraum sucht auch das Motel One in Lübeck von Helmut Riemann. Mit Satteldach und hell geschlämmter Ziegelfassade fügt sich das Hotel behutsam in seine mittelalterliche Umgebung am zentralen Marktplatz der Hansestadt ein und bleibt doch als Baustein der Gegenwart erkennbar. Gleiches gelingt Knerer und Lang mit ihrem Hotelneubau am Postplatz in Dresden. Der weiten Nachkriegs-Ödnis des Platzes in unmittelbarer Nähe zum berühmten barocken Zwinger, haben sie eine klug gestaffelte Fassade mit Kolonnade im Erdgeschoss entgegengesetzt. Doch nicht nur die Einpassung in die umgebende Stadt ist bei etlichen Hotels heute angesagt.

Auch die historische Bausubstanz weiter zu nutzen, liegt im Trend der Zeit. Es ist nachhaltig, denn die schon einmal verbaute „graue Energie“ bleibt so erhalten. Zugleich verfügen historische Bauten über eine besondere Aura. Das gilt gerade für Bauten der Nachkriegsmoderne: Mitten im Weltkulturerbe der Hamburger Speicherstadt, haben Winking Froh Architekten ein altes Verwaltungsgebäude von Werner Kallmorgen stimmungsvoll zum Ameron Hotel umgenutzt. Wahlweise bieten die Zimmer einen herrlichen Blick auf die neue Hafencity oder auf die Fleets rund um den Kirchturm von St. Katharinen.

Anders als bei anonymen Hotelkomplexen, wie sie noch immer an Flughäfen entstehen, atmen innerstädtische Hotels den Puls des Ortes und gestalten ihn zugleich mit, wie bei dem kultigen „Opposite House“ des japanischen Stararchitekten Kengo Kuma in Peking. Ebenso hipp wie das ganze Sanlitun-Quartier der chinesischen Hauptstadt, ist auch Kumas Luxushotel. Dem Understatement seiner grünen Glasfassade antwortete im Inneren ein Innenhof mit mächtiger Metallmash-Welle und vergnüglichen Holzbadewannen in den großzügigen Zimmern. Und die Zukunft? Reisebeschränkungen durch die Corona-Pandemie hin und die Konkurrenz durch Vermittlungsplattformen für private Wohnung her - gute Hotels bleiben auch künftig gebaute Gastgeber. In ihrer Architektur atmen sie Rhythmus und Klang ihrer Städte. Sie spiegeln den Charakter des Ortes und laden ihre Gäste ein, sich in der Fremde daheim zu fühlen. Jürgen Tietz ist Architekturkritiker und schreibt unter anderem für die Neue Zürcher Zeitung und die deutsche bauzeitung.

Bilder: Altes Hilton-Hotels in Berlin (© GBI Holding AG/ IMAGO) St. Pancras Renaissance Hotel in London (© GBI Holding AG/ iStock)