BESSER ALS ERWARTET
Von Christian Hunziker
Florian Schwalm dürfte vielen Akteuren des Immobilienmarktes aus der Seele sprechen. „Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine und der darauf folgenden Energiekrise, der Inflation sowie dann notwendigen Zinsanhebungen, erleben wir auch am Immobilienmarkt eine Zeitenwende“, sagt der Managing Partner der Beratungsgesellschaft EY Real Estate. 2022 war der deutsche Immobilienmarkt denn auch von Verunsicherung und Abwarten geprägt – und trotzdem sind die Aussichten nach Einschätzung führender Fachleute gut.
Daran, dass sich der deutsche Immobilienmarkt 2023 besser entwickeln könnte als erwartet, glaubt jedenfalls Jan Linsin, Head of Research Germany bei der Immobilienberatungsgesellschaft CBRE. Der vielleicht wichtigste Grund für seinen Optimismus: Der noch vor kurzem erwartete Wirtschaftseinbruch dürfte ausbleiben. In ihrem Jahreswirtschaftsbericht erwartet die Bundesregierung für das laufende Jahr ein Wirtschaftswachstum von 0,2 Prozent und für 2024 sogar von 1,8 Prozent. Das geht einher mit einem „sehr robusten Arbeitsmarkt mit der hierzulande höchsten jemals registrierten Beschäftigtenzahl“, wie Linsin sagt. Die Inflation hat sich in den ersten Monaten des Jahres zudem deutlich abgeschwächt.
Hinzu kommen die politische Stabilität sowie die anhaltende Attraktivität Deutschlands für Menschen aus anderen Ländern: 2022 erhöhte sich die Einwohnerzahl um 1,3 Prozent auf 84,3 Millionen. „Dies ist zu einem großen Teil auf die vielen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine zurückzuführen, aber auch grundsätzlich ist die internationale Zuwanderung nach den schwächeren Coronajahren wieder gestiegen“, erklärt Roman Heidrich, Lead Director Residential Valuation & Transaction Advisory bei JLL Germany.
Davon profitiert natürlich der Wohnungsmarkt. Nach Analysen von JLL ist die durchschnittliche Miete in den acht größten deutschen Städten (darunter Berlin, Hamburg, München und Frankfurt am Main) im vergangenen Jahr um 6,3 Prozent gestiegen. Obwohl Deutschland über einen ausgeprägten Mieterschutz verfügt und Eigentümer die Mieten nicht beliebig anheben können, erwarten Experten einen anhaltenden Druck auf den Mietwohnungsmarkt und damit einen weiteren Mietanstieg. Denn die Neubautätigkeit hält mit der wachsenden Einwohner- und Haushaltszahl bei weitem nicht Schritt. 2022 sind Schätzungen zufolge in ganz Deutschland nur etwa 280.000 Wohneinheiten fertiggestellt worden; die Bundesregierung hält dagegen den Bau von jährlich 400.000 Wohnungen für erforderlich, um den Bedarf zu decken. Ein Ziel, von dem schon jetzt absehbar ist, dass es auch im nächsten Jahr verfehlt wird. „Diese Entwicklung“, prognostiziert die Immobilienberatungsgesellschaft Colliers, „wird in den Ballungsräumen zu Mietwachstumspotenzial führen.“
Ebenfalls an Bedeutung gewinnt ein Segment, für das eigene Regeln gelten, nämlich öffentlich geförderte Wohnungen. Die Bundesregierung peilt den Bau von deutschlandweit 100.000 Sozialwohnungen im Jahr an und plant - mit Co-Finanzierung der Länder - bis 2026 14,5 Milliarden Euro hierfür ein. Das Geld wird von der öffentlichen Hand als finanzielle Unterstützung in Form von Zuschüssen und/oder vergünstigten Krediten zur Verfügung gestellt. Im Gegenzug verpflichtet sich der Bauherr, die Wohnungen für einen bestimmten Zeitraum (meist etwa 30 Jahre) zu einer festgelegten Miete an Haushalte zu vermieten, die gewisse Einkommensgrenzen nicht überschreiten. Die Förderbedingungen haben sich dabei in mehreren Bundesländern in letzter Zeit deutlich verbessert. „Investitionen in den geförderten Wohnungsbau werden aus Investorensicht angesichts der stark gestiegenen Fremdkapitalkosten wieder attraktiver“, sagt Helge Scheunemann, Head of Research bei JLL Germany, mit Blick auf die Fördergelder.
Gute Aussichten ergeben sich jedoch auch für andere Assetklassen – zum Beispiel für Hotels, die unter den Folgen der Coronapandemie besonders zu leiden hatten. Denn die Nachfrage hat zuletzt wieder deutlich angezogen. „Ganz gleich, ob man die Zimmerbelegung, die Zimmerraten oder die Zimmerpreise betrachtet: Mit den steigenden Übernachtungszahlen befinden sich auch die wichtigsten Hotel-Performancekennzahlen wieder im Aufwind“, stellt Alexander Trobitz fest, Head of Hotel Services bei BNP Paribas Real Estate in Deutschland.
Selbst auf dem Büroimmobilienmarkt bleibt die Nachfrage hoch. 2022 wurden in den sieben deutschen Immobilienhochburgen nach Angaben von JLL rund 3,5 Millionen Quadratmeter Bürofläche vermietet und damit 6,5 Prozent mehr als 2021. Der Büroimmobilienmarkt, heißt es in dem von führenden deutschen Experten verfassten „Frühjahrsgutachten Immobilienwirtschaft 2023 des Rates der Immobilienweisen“, habe bisher „relativ robust auf die zunehmenden konjunkturellen Unsicherheiten und auf die weiter fortbestehende Diskussion über die Auswirkungen von Remote Work“ reagiert. Gefragt sein werden den Fachleuten zufolge in Zukunft moderne, flexible und gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbare Bürogebäude, die hohen Nachhaltigkeitsstandards genügen.
Ein weiterer anhaltender Trend ist der demografische Wandel, der sich wieder besonders auf den Wohnungsmarkt auswirkt: Weil der Anteil älterer Menschen zunimmt, wächst der Bedarf an seniorengerechten, kompakten und damit für breite Bevölkerungsschichten bezahlbaren Wohnungen, die durch entsprechende Hilfs- und Serviceangebote ergänzt werden. Und auch komplett ausgestattete, kurzfristig beziehbare Mikroapartments werden in den deutschen Großstädten weiter gefragt sein. „Die Universitäten, aber auch die Unternehmen aus den wachstumsstarken Wirtschaftsbereichen“, begründet dies Jirka Stache, Director Research bei CBRE, „ziehen immer mehr einheimische und ausländische Studenten, Expats und Nachwuchskräfte an“. Gleichzeitig, so Stache, sei das Angebot an modernen und zweckmäßigen Wohnformen knapp.
Kein Wunder also, dass Investoren die Bundesrepublik trotz aller Herausforderungen nach wie vor für ein spannendes Investitionsziel halten: Laut einer Umfrage der Berlin Hyp, eines großen deutschen Immobilienfinanzierers, bleibt Deutschland nach Ansicht der befragten Investoren aus dem In- und Ausland der attraktivste Immobilienmarkt Europas.
Christian Hunziker beschäftigt sich als Journalist mit allen Themen rund um die Immobilie.
Bild 1: Luftaufnahme Frankfurt am Main (© Pexels – Philipp Birmes) Bild 2: Luftaufnahme Frankfurt Europaviertel (© GBI Group GmbH)